“Tausend Tode schreiben” – Dem Tod mit Worten begegnen
Es sagt sich so leicht: Der Tod gehört zum Leben dazu. Oder: Die Toten sterben erst dann, wenn wir sie vergessen.
In der Wirlichkeit hat das Abschiednehmen Dimensionen, die wir nicht zu erfassen imstande sind. Keiner der Lebenden versteht, was Sterben und Totsein bedeutet. Die, die gerade sterben, ahnen es womöglich. Doch ihnen fehlen erst recht die Worte. Und die, die tot sind, naja, sie sprechen zu uns in unseren Erinnerungen. Aber sie sprechen von dem, was wir zusammen gelebt haben. Wie sollen wir also mehr erfahren über das große Unbekannte, wie Antworten finden auf Fragen, die uns beschäftigen oder quälen?
Über den Tod und das Sterben zu sprechen wäre ein Anfang. Worte helfen. Sie helfen dabei, Unverständliches begreifbar zu machen, in Teilen zu erfassen und einzuordnen. Was wäre also, wenn wir uns öfter Geschichten über den Tod erzählen würden? Darüber, wie es für uns war, Mutter, Tochter, Großmutter, Vater, Opa und Freundin verabschieden zu müssen. Darüber, wie wir damit leben, dass sich der Tod in unsere Mitte gestohlen hat, dass er einen Teil unseres Lebens gestohlen hat, dass er sich davonstiehlt, ohne dass wir ihm unsere Wut haben entgegenschleudern können. Wie soll man so einem begegnen? Sich vielleicht sogar mit ihm versöhnen?
Christiane Frohmann, Verlegerin, versucht die Begegnung. Sie hatte eine Idee, die vielleicht wahnsinnig ist. Wahnsinnig deshalb, weil auch die Dimensionen der Idee kaum zu erfassen waren, ganz am Anfang, als sie zum ersten Mal gedacht wurde. 1000 Texte sollen in ein Buch. 1000 Texte über den Tod. 1000 Texte von 1000 Autoren!
Das heißt 1000 Geschichten und mehr als 1000 Gedanken, zahllose Gefühlswelten, eine Menge Impulse für Gespräche, mit der inneren und der äußeren Welt. Aber auch weit mehr als 1000 Orga-Mails und vielleicht sogar mehr als 1000 Stunden Arbeit für die Verlegerin. Denn der Frohmann Verlag besteht aus nicht viel mehr Menschen als Christiane Frohmann. Es gibt zum Glück Mitwirkende. Aber dennoch: Es muss ein wahnsinniges Projekt sein. Einfach, weil es so wahnsinnig groß ist.
Wenn man Christiane Frohmann auf twitter zuhört, bekommt man manchmal eine Vorstellung davon, wie es hinter den Kulissen sein mag. Dort schreibt sie zum Beispiel
Ich entschuldige mich, dass es so lange dauert mit dem Lektorat von #1000tode; es ist dieses Mal leider extrem aufwändig.
— Frohmann Verlag (@FrauFrohmann) 6. Januar 2015
oder
*liestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliestliest* #1000tode
— Frohmann Verlag (@FrauFrohmann) 9. Januar 2015
Aber genau das zeigt auch, dass sie keine Angst vor großen Dimensionen hat. Darin kann sie mir ein Vorbild sein. Denn auch das Lesen der Texte erzeugt Konfrontationen mit großen Gefühlen. Anders geht es auch gar nicht. Viele Geschichten erzählen sehr offen von Dingen, die tatsächlich passiert sind. Aber auch andere Formen der Begegnung sind zu finden: Dialoge mit dem Tod, Monologe, Fiktion, Lyrik – Annäherungen an das große, unfassbare Thema. Es ist ein Kaleidoskop geworden, dieses eBook, mit dem man sich den Tod betrachten kann. Man wird ihn nie scharf abbilden, machen wir uns nichts vor. Aber „1000 Tode schreiben“ funkelt ihn farbig und vielschichtig auf unsere innere Netzhaut. Damit wir uns ein bisschen näher heranwagen an dieses tonnenschwere Thema und dadurch vielleicht etwas entdecken können, was uns versöhnlich stimmt, was uns womöglich sagen lässt: „Ich kann mich damit abfinden, dass mir der Tod eine Wunde geschlagen hat. Reden wir drüber.“
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Ich freue mich, dass mein Text über den Tod den Weg ins Buch gefunden hat. Er heißt 197 und ist ein fiktiver Monolog mit meinem verstorbenen Vater. Der Text fängt so an: „Man hat dich falsch herum ins Grab gelegt. Ausgerechnet dich, dem es immer so wichtig war, alles richtig zu machen …“
Ich lege hier nach und nach eine kleine Sammlung der Texte an, die mich in „Tausend Tode schreiben“ besonders berührt haben:
8 – Gesa Füßle: „Als unser kleinwüchsiges Meerschweinchen nicht mehr konnte, trotz Astronautennahrung immer schwächer wurde, aber stehenblieb …“
16 – Jan Fischer: „Die Sache ist: Das passiert wirklich …“
182 - Asal Dardan: „Ich habe ein schlechtes biografisches Gedächtnis, was mir immer besonders auffällt, wenn andere aus ihrem Leben erzählen …“
222 - Robin Detje: „Landschaft, die schon tot ist I: Südkalifornien. Ein Meer aus Parkplätzen …“
224 – Angelika Stallhofer: „Der Tod, der Wünschelrutengänger, es kommt vor, dass ich ihm begegne, dass er die Felder hinter meinem Haus abgeht, …“
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Das Buch:
Christiane Frohmann (Hg.)
Tausend Tode schreiben
ISBN ePub: 978-3-944195-55-1
ISBN mobi: 978-3-944195-56-8
EUR 4,99; FR 6,00
Frohmann Verlag
Version 2/4, erschienen am 16. Januar 2015
Man kann es kaufen. Zum Beispiel hier:
minimore.de, Amazonkindle, beam, bol.de, buch.ch, buch.de, buecher. de, ciando, hugendubel.de, iTunes, thalia.at, thalia.ch, thalia.de, txtr, weltbild.at, weltbild.ch und weltbild.de sowie in vielen Buchandlungen.
Die Erlöse werden gespendet:
Die Autor- und Herausgeberanteile am Erlös gehen als Spende an das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin-Pankow.
Das Buch lebt vom Mitmachen:
Christiane Frohmann: „Wer von den Leser*inne*n dieses E-Books selbst einen Text zum Tod geschrieben hat oder in sich trägt, kann diesen ebenfalls zu ‚Tausend Tode schreiben’ beitragen (Exposé, Dropbox-Link), weil noch drei weitere Versionen erscheinen werden. Die Deadline für Version 3/4 ist der 2. Februar 2015. Die finale Version wird am 13. März 2015 erscheinen.“
Danke sehr für diesen schönen Text zu “1000 Tode schreiben” und auch für die Erwähnung, über die ich mich sehr freue. Es ist tatsächlich bewundernswert, was Christiane Frohmann mit diesem Projekt leistet und ich bin gespannt auf die weiteren Texte.
Tod 197 finde ich übrigens sehr berührend. Es ist ein starker und gleichzeitig feiner Text und eine beeindruckende Auseinandersetzung mit dem Vater, der falsch herum doch richtig liegt. Ich habe ihn sehr gern gelesen und respektiere die Seelenarbeit, die hinter so einem Text stehen muss, sehr.
Falls jemand direkt auf meinen Text möchte, hier ist er zusammen mit Fotografien vom Friedhof auf Sardinien: http://asallime.com/2014/11/09/alle-seelen/
Vielen Dank für diesen schönen Kommentar, liebe Asal.
Ich bin total fasziniert, was bei diesem Projekt so alles “nebenbei” passiert, welche Kanäle sich plötzlich öffnen. Ganz nebenbei ist das Buch auch eine echte Fundgrube. LG!