Storytelling als Coachinginstrument
Storytelling kann in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden, zum Beispiel im Marketing und bei Präsentationen. Dieser Blogeintrag zeigt, wie Stories Teil des therapeutischen Prozesses werden können. Die Informationen wurden von den Ergotherapeutinnen Andrea Hasselbusch und Astrid Baumgarten im Rahmen des 59. Ergotherapiekongresses in Erfurt vorgetragen.
Wen kann Storytelling unterstützen?
Geschichten können als Social Stories und Sensory Stories Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten und sensorischen Verarbeitungsproblemen eine wichtige Hilfestellung sein. Immer dann, wenn Verhaltensweisen dazu führen, dass ein Kind nicht so am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann wie es sich das wünscht oder dann, wenn Verarbeitungsprobleme von sensorischen Reizen das alltägliche Leben sehr erschweren, können Stories eine Hilfestellung sein.
Immer dann, wenn Kindern Strategien fehlen, mit schwierigen Situationen umzugehen, können einfache Geschichten, die zusammen mit dem Kind entwickelt werden, Lösungen begreifbar machen. Kinder, die aufgrund ihrer Reizempfindlichkeit schnell mit bereits "normalen" Situationen überfordert sind, finden in der Überforderungssituation mithilfe von Sensory Stories Zugang zu bereits erarbeiteten Strategien. Die Geschichten helfen ihnen dabei, ein Verhaltensprogramm abzurufen, das es ihnen ermöglicht, die schwierige Situation konstruktiv zu meistern.
Besonders bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen sind nach den Erfahrungen der Referentinnen Social und Sensory Stories ein guter Weg, um gemeinsam mit allen Beteiligten (Kind, Eltern, Lehrern) Lösungen für belastende Situationen zu finden. Dabei wird dem Kind nicht vorgegeben, was es lernen soll. Therapeuten sind hier eher in der Rolle des Coachs und können durch genaue Beobachtungen im Umfeld des Kindes Fragen entwickeln, die den Inhalt einer passenden Story umreißen.
Methodik allgemein
Das Ziel der ergotherapeutischen Begleitung ist, weniger Leistungsdruck im Alltag zu erreichen und damit die innere Anspannung zu senken. So können Konflikte im Alltag reduziert werden, was wiederum dazu beiträgt, dass das Kind im Alltag besser zurecht kommt. Dabei kommen auch hier 3 allgemeine ergotherapeutische Grundsätze zum Tragen:
- Die Betätigung, die dem Kind schwer fällt, wird angepasst.
- Die Umwelt, die dem Kind Probleme bereitet, wird angepasst.
- Es werden Strategien für problematische Situationen zusammen mit dem Kind erarbeitet.
Social und Sensory Stories setzen beim 3. Punkt an. Soziale Situationen, Fertigkeiten und Konzepte werden kontextspezifisch und individualisiert in den Fokus genommen.
Methodik Social Stories
Das Ziel der Geschichte ist, dem Kind zu vermitteln, dass es verstanden wird. Das Kind erfährt, dass es ganz normal ist, in schwierigen Situationen nicht immer weiterzuwissen. Die Geschichte macht darüber hinaus deutlich, welche Mittel dem Kind zur Verfügung stehen, um die Situation zu meistern.
Damit die Social Story funktioniert, hat sich folgende Methodik als sinnvoll erwiesen:
- Entdecken: Die Therapeutin sammelt die für die Geschichte relevanten Informationen.
- Aufbau: Es gibt einen Titel, der das Kind direkt mit Namen anspricht (für wen ist die Story?). Danach folgt der klassische Aufbau Einführung, Hauptteil, Ende.
- Format: Die Geschichte muss so präsentiert werden, dass sie das Kind gut annehmen kann. Die Kombination von Bild und Text hat sich bewährt. Häufig sind Fotos sinnvoll, die die tatsächliche Umgebung des Kindes zeigen.
- Wortwahl: Die Ansprache sollte in der 1. oder 3. Person erfolgen, die Formulierungen sind positiv.
- Storyline: Die Geschichte kann gut mithilfe der W-Fragen entwickelt werden: Wer macht was wann mit wem wo?
- Sätze: Die Sätze sind beschreibend, bestätigend, kurz und klar formuliert.
Methodik Sensory Story
Sensory Stories sind eine Weiterentwicklung von Social Stories und helfen insbesondere Kindern, die Reize anderes verarbeiten als sogenannte neurotypische Menschen. Unter solchen sensorischen Modulationsstörungen leiden vor allem Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen. Sensorische Reize nehmen sie häufig viel intensiver wahr. So kann beispielsweise bereits normales Sonnenlicht zu Missempfindungen führen, als zu grell oder sogar schmerzhaft wahrgenommen werden. Auch leichte taktile Reize werden unangenehm empfunden und fördern Unruhe und andere Hyperreaktionen. Deshalb liegt der Fokus von Sensory Stories darauf, dem autistischen Kind Lösungen zur Verfügung zu stellen, wie es mit Missempfindungen und Reizüberflutungen umgehen kann, ohne dass es die aktuelle Betätigung beendet. Denn häufig leiden autistische Kinder darunter, dass sie aufgrund ihrer Modulationsprobleme Tätigkeiten und Kontaktsituationen abbrechen müssen.
Die Schlüsselkomponenten der Sensory Stories sind:
- Einführung in die konkrete Situation der sensorischen Erfahrung.
- Identifikation mit den Schwierigkeiten, die mit dieser Situation zusammenhängen.
- Eingeständnis, dass diese Situation schwierig ist.
- Erläuterung der Situation. Was macht es so schwierig?
- Entwicklung einer Strategie, die für das Kind gut umsetzbar ist.
- Positives, wertschätzendes Ende. Dabei wird vermittelt, dass es reicht, wenn das Kind versucht, die Strategie anzuwenden. Erfolg ist nicht dadurch gekennzeichnet, dass die Strategie der Story genauso umgesetzt wird, sondern, dass das Kind den Versuch dazu unternimmt. Das ist ein wichtiger Punkt, um Leistungsdruck zu mindern.
Resümee
Was mir besonders an Andrea Hasselbuschs und Astrid Baumgartens Vortrag gefallen hat, war das Ziel, das sie mit Social und Sensory Stories erreichen wollen:
"Eine Gesellschaft, die autismusfreundlicher wird."
Stories als Wegbereiter für gesellschaftliche Veränderungen: toll!