3 Fragen zu Storytelling in der Gesundheitskommunikation
Wie löst man das Dilemma? Patienteninformationen sollen evidenzbasiertes Wissen transportieren UND gern gelesen werden. Da Evidenzbasierung jedoch sehr viel mit harten Daten zu tun hat, sind Texte, die sich auf die Vermittlung von Daten und Fakten beschränken, schwerer zu lesen, schwerer zu verstehen und ihre Inhalte werden schneller wieder vergessen. Anschaulich erzählte, mit Beispielen angereicherte Geschichten von Krankheit und Heilung transportieren Studienergebnisse und Leitlinienwissen oft „ganz nebenbei“ und werden von Patienten und medizinischen Laien gern gelesen und gut verstanden. Allerdings hat die Storytelling-Methode in der Wissensvermittlung keinen leichten Stand. Denn: Die Mehrzahl von „Anekdote“ heißt nicht „Daten und Fakten“.
Drei Fragen zur Ethik des Storytelling
Im Healthcare-Marketing spielen Patienteninformationen traditionell eine wichtige Rolle. Patientenwebsites werden immer beliebter, auch im Rx-Markt (verschreibungspflichtige Arzneimittel). Gerade im Internet geht es darum, die Aufmerksamkeit von Lesern zu gewinnen. Storytelling, insbesondere emotionales Storytelling, wird dazu verstärkt eingesetzt.
In einem Artikel, der 2014 in der Zeitschrift Proceedings oft he National Acadamy of Science of the United States of America (PNAS) erschienen ist, stellt der Journalist und Biomediziner Michael F Dahlstrom, Professor an der Iowa State University, drei Fragen zur Ethik des Storytelling in der Wissenschaftskommunikation. Diese Fragen besitzen für medizinische Informationen eine besondere Relevanz, weil sie wichtige Hinweise geben, ob, wann und wie Storytelling bei der Wissensvermittlung funktioniert.
1. Frage: Wird Storytelling eingesetzt, um die Verständlichkeit zu verbessern oder um Menschen zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen?
Hier treffen zwei unterschiedliche Ansichten über die gesellschaftliche Rolle von Wissenschaft aufeinander. Die eine Sichtweise geht davon aus, dass Diskussionen über wissenschaftliche Themen dadurch entstehen, dass die Öffentlichkeit nicht genug über den aktuellen Forschungsstand weiß. Es soll also mithilfe von Wissenschaftsjournalismus ein Wissensdefizit ausgeglichen werden, damit Menschen sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten können und die Diskussionen abnehmen.
Die andere Sichtweise hält Debatten über wissenschaftliche Themen in der Öffentlichkeit für wichtig, weil so gesellschaftlich relevante Aspekte in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht werden. Damit erhöht sich zum einen die Anzahl derer, die über aktuelle Forschungsergebnisse reden oder von ihnen erfahren und zum anderen verbessert sich der Austausch zwischen den „Theoretikern“ und den „Praktikern“.
Geschichten können beiderlei Ziele verfolgen, sowohl jenes, ein bestimmtes Verhalten zu fördern als auch das, das Verständnis über einen bestimmten Zusammenhang zu verbessern, um so eigenständigere Entscheidungen der Leser zu ermöglichen. Als Storyteller sollte man sich jedoch über die Zielsetzung stets bewusst sein und verantwortungsvoll damit umgehen.
2. Frage: Wie wahr muss die erzählte Geschichte sein?
Geschichten enthalten häufig mehrere Schichten von Wahrheiten. Welche Wahrheit jeweils im Vordergrund steht, hängt von Botschaft, Zielsetzung und Zielgruppe ab. Angenommen, es soll deutlich werden, wie das Immunsystem funktioniert, dann ist es für die Zielsetzung der akkuraten Wissensvermittlung unerheblich, ob die Protagonisten des Immunsystems als das dargestellt werden, was sie sind – nämlich Zellen oder Moleküle mit bestimmten Eigenschaften – oder ob sie in Personenrollen schlüpfen, wie z. B. Polizisten, Monster oder Vielfraße. Wichtig ist hierbei eigentlich nur, dass die verwendeten Symbole und Bilder stimmige Repräsentanten der Realität sind und dass die Zielgruppe Anknüpfungspunkte zu den gewählten Repräsentanten findet.
3. Frage: Sollte man überhaupt Storytelling einsetzen, um Gesundheitswissen zu vermitteln?
Das hängt vom Einzelfall ab. Manchmal schließen die Erwartungen, die von Meinungsbildnern an die Wissensvermittlung gestellt werden, die Verwendung von narrativen Methoden aus. Vielleicht, weil die Normen des Forschungsthemas die Adaptation in eine andere Sprache nicht vertragen.
Manchmal ist es aber auch genau umgekehrt. Dann wäre es fatal, auf narrative Elemente zu verzichten, weil damit eine wichtige Zielgruppe ausgeschlossen bliebe. Beispielsweise bei der Wissensvermittlung an Kinder.
Fazit: Wenn es um die Vermittlung von medizinischen Inhalten an Laien geht, kann Storytelling das Mittel der Wahl sein – abhängig von Botschaft, Zielsetzung und Zielgruppe. Denn narrative Methoden sind geeignet, um schwer verständliche Phänomene in einen menschlichen Maßstab zu bringen. Dann nämlich heißt die Mehrzahl von „Anekdote“ „engagierte Wissenschaftskommunikation“.
Dieser Blogbeitrag funktioniert zusammen mit einem Gastbeitrag, den ich im Rahmen einer Blogwichtelaktion für das Onlineangebot "Autorenexpress" meiner Netzwerkkollegin Nessa Altura verfasst habe. Beide Beiträge beruhen auf dem Artikel von Michael F Dahlstrom: Using narratives and storytelling to communicate science with nonexpert audiences, der 2014 in der Zeitschrift Proceedings oft he National Acadamy of Science of the United States of America (PNAS) erschienen ist. Der Volltext des Artikels ist unter diesem Link abrufbar.
Quellennachweis Foto: David-W- / photocase.de
Spannendes Thema. Der Spagat besteht ja immer zwischen Veranschaulichen (auch durch Personalisierung) und möglicherweise doch Überreden bzw. unangemessen Beeinflussen. Zum Thema vielleicht auch interessant:
http://www.leitlinie-gesundheitsinformation.de/leitlinie/einsatz-von-narrativen/
Liebe Iris,
hab vielen Dank für den nützlichen Link. Ich denke, der Schlüssel liegt wirklich darin verantwortungsvoll mit Storys umzugehen. Also ganz konkret transparent machen, wo die Vor- und Nachteile liegen. Jüngst scheint es ja nur so von angstmachenden und aufmerksamkeitsheischenden Storys in der Patientenkommunikation zu wimmeln, um Menschen zu Screenings uÄ zu bewegen, deren Nutzen nicht belegt ist. Es bleibt eine Gratwanderung.